Masuren – Polen (Reisen)#

Urlaub einmal anders#

Weil bei der Veröffentlichung in der “MAZ” einige Textteile durch redaktionelle Bearbeitung verloren gingen, hier die komplette Ausgabe für den interessierten Leser!

Die Vorgeschichte#

Dies ist der Bericht über eine nicht alltägliche Reise in ein anderes Land, den Nordosten Polens, genauer gesagt: Masuren und angrenzende Gebiete. Wir haben mehrfach Glück gehabt, was diese Reise betrifft. Das begann schon bei der Buchung. So mußten wir erst einmal erfahren, daß alle diesjährigen Touren ausgebucht sind. Gleichzeitig hörten wir vom Friedensbildungswerk in Köln, das noch eine zusätzliche Reise plante. Dort bekamen wir schließlich noch zwei Plätze. Die Kölner nutzten die 11 Tage für einen Bildungsurlaub, der auch den Brandenburgern per Gesetz zusteht. Der Arbeitgeber muß den Arbeitnehmer dann für diese Reise freistellen. Für uns war es der Jahresurlaub. Was aber ist nun nicht alltäglich an dieser Reise? Tja, man steigt nicht in ein Flugzeug und fliegt dann auf eine Insel und legt sich an den Strand. Nein, man muß arbeiten! Wie? Ja, jeder Teilnehmer bekommt ein Fahrrad, und los geht’s über Straßen und Wege, quer durch Polen! Ich kann jetzt schon sagen, alle Beteiligten waren begeistert!

Nicht umsonst sind diese Touren so gefragt.

Mittwoch 21.08.97#

Wir wollten nicht mit Streß den Urlaub beginnen und reisten deshalb schon einen Tag vor dem offiziellen Start nach Warschau.

Wir bestiegen also in Altes Lager den Zug, stiegen in Jüterbog und Lichtenberg um und waren schon fast in Polen.

An der Grenze begann das Neue, Unbekannte. Beim polnischen Zoll waren wir auf keiner Fahndungsliste vermerkt. Das war ja auch nicht möglich, denn wir haben die Pässe extra neu drucken lassen. Die Fahndungslisten dagegen sahen aus, als ob sie schon 40 Jahre unverändert geblieben sind. Endlich hatten wir ausreichend Zeit, aus dem Fenster des Euro-City zu sehen und beobachteten die sich ständig verändernde Landschaft. Was ist nun anders als in Deutschland?

Die Bewohner und mit ihnen die Gehöfte mußten in alten Zeiten wahrscheinlich nicht so eng zusammenrücken, um sich vor fremden Eroberern zu verteidigen. So sind die Gehöfte also dort angelegt, wo der Acker zu bearbeiten ist; die Abstände zwischen den Bauernwirtschaften sind größer als in Deutschland. Das typische Dorf ist eher selten. Auffallend ist, daß man oft auf ein Spitzdach verzichtet.

Scheinbar haben die Häuslebauer Werbeverträge mit den Steinproduzenten, denn sie verzichteten fast ausnahmslos auf das Abputzen der Häuser.

Die Traktoren auf den Feldern sind klein und die Felder ihrerseits passen sich der Größe der Traktoren an. Die Kühe werden hier nicht in Koppeln wie in Deutschland gehalten, sondern müssen mit einem durch die Länge einer Kette bemessenen Aktionsradius auskommen!

Die polnische Staatsbahn, das ist unverkennbar, baut an der ganzen Strecke, wie die Deutschen an ihren Autobahnen. Dieses Bild änderte sich kaum bis nach Warschau. Soviel zu den ersten Eindrücken vom Fensterplatz eines Euro-City.

In Warschau angekommen, bezogen wir unser Quartier im Hotel “Europa”.

Donnerstag: 21.08.97 (15 Kilometer)#

Wir marschierten zum Bahnhof “ Warszawa Centralna”. Eigentlich wollte der Reiseführer durch ein Schild mit der Aufschrift “Masuren” auf sich aufmerksam machen. Es war 10 Uhr, die verabredete Zeit, aber kein Schild an Kasse 2! Dafür bildete sich langsam ein Kreis von Touristen um einen Berg von Gepäck. Es stellte sich heraus, daß es die gesuchte Gruppe war. Während unser Reiseführer Marek noch mit den Formalitäten zu tun hatte, machten wir mit Zigeunern Bekanntschaft. Sie bettelten um Geld für ihre Kinder. Dies machte einige Teilnehmer betroffen und unsicher. Im ersten Moment war auch ich empört und demonstrierte Kälte, obwohl mir die Kinder und Frauen leid taten, denn es ist ja ihr Beruf. So wie uns die Damen und Herren der Finanzämter jeden Tag von Berufswegen unser Geld abnehmen, nur eben etwas förmlicher. Der Mann (Chef?) scheint auch gar nicht so recht zufrieden zu sein und putzt die Frauen (seine Angestellten?) vor der Kundschaft runter.

Inzwischen war auch der Letzte eingetrudelt, die Gruppe komplett.

Jetzt hieß es das Gepäck in den Bus verstauen, der uns zum Ausgangspunkt unserer Radtour bringen sollte; es folgte eine vierstündige Busfahrt nach “Heilige Linde”. Die Landschaft geht schon kurz hinter Warschau in ein waldreiches Grün über, und der Motor des Busses zeigte durch abwechselndes Knurren und Schweigen, daß wir uns durch eine hügelige Landschaft bewegen. In “Heilige Linde” erwartete uns schon eine Fremdenführerin, die uns zur Eile ermahnte, denn in der Kirche sollte in Kürze ein kleines Orgelkonzert beginnen, und das sollten wir uns nicht entgehen lassen.

Nach dem Konzert erfuhren wir bei einer Führung Wichtiges über Entstehung, Zerstörung und Wiederaufbau dieser Kirche in der Vergangenheit und ihre Bedeutung in der Gegenwart.

Bemerkenswert an diesem Klosterbau sind die Freskenmalereien, wobei die Meisterschaft des Malers durch den gestreckten Arm eines Heiligen besonders sichtbar wird. Denn der Arm zeigt immer in die Richtung des Betrachters, egal ob er sich in der Mitte, am Ausgang oder Altar der Kirche befindet!

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Kloster in Heilige Linde Nach dem Besuch des Klosters erhielten wir unsere Fahrräder. Es sind Damen- und Herrenräder, die mit Satteltaschen ausgerüstet sind. Die Sattelhöhe wurde angepaßt, die 6-Gangschaltung getestet, und schon rollte die kleine Gruppe über polnische Straßen zum ersten Zielort: Ketrzyn [sprich Ke-oon-schen]. Eine recht kurze Strecke zum Eingewöhnen.

Freitag 22.08.97 (23 Kilometer),#

Um 8:30 begann die Fahrt. Nach einer halben Stunde erreichten wir den berühmt-berüchtigten Ort “Wolfsschanze”. Jerzy Szynkowski, unser Begleiter durch die Überreste des Führerhauptquartiers, beruhigte uns, daß die ebenfalls für dieses Wald- und Sumpfgebiet berüchtigten Mücken zur Zeit nicht aktiv seien. Es folgte eine kleine Führung durch den inneren Kern der Anlage. Die gesamte Fläche ist 250 ha groß. Ursprünglich nur für eine mehrwöchige Nutzung im Blitzkrieg gehen die Sowjetunion errichtet, wurde dieser Anlage dann doch für eine langfristige Nutzung ausgebaut. So düster wie dieses Kapitel deutscher Geschichte ist, wird auch von vielen Augenzeugen das trostlose und eintönige Leben an diesem Ort beschrieben. Die treffendste Beschreibung für den Bunkerkomplex hat wohl der Reichsminister für Rüstung und Kriegsproduktion Albert Speer gefunden, als er nach dem Krieg den Bunker von Adolf Hitler beschreibt. Er sagte: “…Wenn etwas als Sinnbild einer Situation, ausgedrückt durch einen Bau, angesehen werden kann, dann dieser Bunker: von außen einer altägyptischen Grabstelle ähnlich, war er eigentlich ein Betonklotz, ohne Fenster und direkter Luftzufuhr, im Querschnitt ein Bau, dessen Betonmassen den nutzbaren Raum um ein vielfaches überstiegen. In diesem Grabbau lebte, arbeitete und schlief er. Es schien, als trennten ihn die fünf Meter dicken Betonwände, die ihn umgaben, auch im tragenden Sinne von der Außenwelt und sperrten ihn ein in seinem Wahn.”

Nach diesem Geschichtsausflug waren alle froh über die Möglichkeit zu einem erfrischenden Bad in einem See.

Doch so ein Bad, die frische Luft und viel Bewegung auf dem Rad machen auch hungrig, und deshalb ging es weiter zu einer holländischen Mühle (die einzige klassische Windmühle, die wir zu sehen bekamen), wo uns ein Mittagstisch erwartete. Die Organisatoren unserer Tour wissen natürlich aus eigener Erfahrung, daß sich ein Tourist mit vollem Magen kaum noch bewegen möchte und haben sicherheitshalber zwei Gespanne mit den typisch polnischen, gummibereiften Wagen bestellt. Auf diesen Wagen wurden wir auf recht angenehme Weise wieder nach Ketrzyn zurück kutschiert. Gezogen wurden die Wagen von jeweils 2 Kaltblütern, für die es ihrer Statur nach eher eine leichte Übung war. Hier besichtigten wir dann die Stallanlagen eines Kaltblutgestütes. Der Gestütsleiter zeigte nicht ohne Stolz die Pferde und erzählte gern, wieviel Blut berühmter Vorfahren in jedem von ihnen steckt. Er erwähnte auch, daß es nach dem Krieg in Polen etwa 3 Millionen Pferde gab, heute dagegen etwa 600.000 gezählt werden. Das Interesse am Kaltblut beginnt aber wieder zu wachsen (die Gefahr, daß ein weiteres Haustier vom Aussterben bedroht ist, scheint erst einmal gebannt). Das Kaltblut wird sich also trotz Technisierung behaupten können.

Die Beine wurden langsam schwer; es war aber unvermeidlich, noch eine interessante Kirche zu besichtigen. Diese hat wie jede Kirche natürlich ein paar bemerkenswerte Besonderheiten. Hier zeigt sich das Geschick ihrer Erbauer in einem besonders gelungenen Kristallgewölbe. Und die Katholiken zeigten sich hier besonders tolerant gegenüber den Protestanten, denn ihre Kanzel wird von den Bildern der Reformatoren Luther und Melanchthon geziert. Wie ich finde, ein einmaliges Zeichen von Toleranz in Glaubensfragen! Nun bekamen wir aber Durst, und nahmen den kürzesten Weg zum Hotel. Ein ausgiebiges Abendbrot gab uns Kraft für den nächsten Tag.

Was morgen auf dem Programm steht - man darf gespannt sein!

Sonnabend 23.08.97 (39 Kilometer)#

Geplant war eine Schiffahrt mit Besichtigung einer Kormoran-Kolonie. Die heutige Radtour sollte uns bis an die russische Grenze führen.

Nach einstündiger Busfahrt erreichten wir einen der großen Masurischen Seen in Gizycko [Gi-schitz-ko], am Kisajno-See gelegen. Ein Boot brachte uns zu einer Vogelinsel, deren Bewohner hauptsächlich Kormorane sind. Sie sind es gewohnt, sich die vorbeifahrenden Touristen anzusehen, wie wir es für gewöhnlich vor dem Fernseher machen, sitzen sie geduldig auf den kahlen Bäumen und tun recht gelangweilt. Leider gibt es unter den Touristen immer mal einen mit wenig Gehirnschmalz, und so mußte der Kapitän erst einmal mit strengen Worten ein paar einfältigen Seglern klarmachen, daß fast überall angelegt werden darf, aber nicht an dieser unter Naturschutz gestellten einmaligen Brutkolonie.

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Kormorankolonie

Nach einer Umrundung der Insel, die ein Stück vergangener Vogelparadiese zeigt, landeten wir in dem unweit von Stynort [Stin-ort] gelegenen Hafen. Steinort, so der eingedeutschte Name, ist der ehemalige Sitz einer der bekanntesten ostpreußischen Großgrundbesitzer, der Familie Lehndorff. Von hier ging es auf ebenen Straßen in Richtung Goldap [Gou-dap]. Die Route führte uns direkt bis an die polnisch-russische Grenze. Einige Teilnehmer lassen es sich nicht nehmen, in einem Grenzsee mal kurz von Polen nach Russland zu schwimmen.

Sonntag 24.08.97 (60 Kilometer)#

Wir fuhren durch die Rominter Heide, einem riesigen Waldgebiet, das wegen seines Wildreichtums immer schon bevorzugtes Jagdgebiet der Politprominenz war. Das Fahren mit dem Rad war etwas beschwerlich, weil die Wege nur mit kleinen Steinen befestigt sind.

Nach einigen Kilometern ging es aber wieder auf Landstraßen weiter zu einem Viadukt, der im Jahre 1912 erbaut wurde. Die Besonderheit dieses Bauwerkes ist, daß es ursprünglich aus Holz gezimmert wurde und erst später eine Betonverkleidung erhielt. Die Rückfahrt war angenehm, weil es meistens bergab ging.

Montag 25.08.97 (65 Kilometer)#

Alle Teilnehmer waren sich bewußt, daß der erste Teil der Strecke besonders schwer wird, denn die Strecke, die gestern bequem zurückgelegt werden konnte, mußte nun in entgegengesetzter Richtung befahren werden. Auch stand eine der längsten Strecken bevor.

Wir fuhren erst einmal zum tiefsten See Polens, dem See Hancza, mit einer Tiefe von mehr als 100 Metern. Hier wurde das zum Mittag übliche Picknick veranstaltet. Auch ein Bad durfte nicht fehlen. Auf dem zweiten Teil der Strecke fühlte man sich plötzlich nach Thüringen versetzt, ein ständiges auf und ab. Auf einer unübersehbaren Fläche scheint ein Riese Steine verstreut zu haben. Erschöpft kommen wir in Suwalki [Su-wau-ki] an. Es ist die letzte polnische Stadt an der Transitstrecke nach Weißrußland und entsprechend international geht es im Hotel zu. Das Stadtbild ist eher düster; von den vielen Häusern lassen nur wenige bisher erneuerte Gebäude den alten Glanz dieser Stadt erahnen. Immerhin wohnten und lebten hier zwei berühmte polnische Persönlichkeiten. Abends besuchten wir noch ein Straßencafé und trafen dort bei einem Bier einen Holländer, der über alltägliche Probleme des Geschäftslebens berichtet. Nach der russischen Mafia befragt, berichtet er von deren Praktiken.

Dienstag wird 26.8.97 (24 km)#

Im nahen Naturschutzpark (Wigerski-Park-Narodowy) erfuhren wir etwas über die Lebensweise der Biber. Allerdings spricht die Mitarbeiterin der Parkverwaltung nur englisch, und weil die meisten Teilnehmer diese Sprache verstehen, verzichtete Marek auf eine Übersetzung. Der Park wurde 1989 angelegt, ist damit einer der jüngsten in Polen und 15000 Hektar groß. Zur Zeit bestehen in Polen etwa 20 Naturschutzparks, es sollen einmal 25 werden. In diesem Gebiet befand sich auch ein Kamaldulenserkloster. Die Mitglieder dieses Ordens durften kein Fleisch essen. Aber die Kost war wohl doch etwas einseitig, und so überlegten sie, wie sie doch noch Fleisch essen könnten, ohne mit der Glaubenslehre in Konflikt zu geraten. Sie argumentierten derart, daß der Biber, weil er sich öfter im Wasser statt an Land aufhält, zu den Fischen zu zählen sei, die sie essen durften. Der Papst konnte das wohl nachempfinden, dem Antrag wurde stattgegeben, und damit kamen die Mönche in den Genuß des “Fisch-Fleisches”.

Nach den Ausführungen der Parkmitarbeiterin ging es erst einmal ins kühle Naß und dann zurück nach Suwalki. Dort besichtigten wir noch einen Friedhofskomplex, der einen polnischen, einen alten römisch-katholischen und Überreste eines jüdischen Friedhofs umfaßt.

Mittwoch 27.08.97 (63 Kilometer)#

Die Etappe des heutigen Tages führte von Suwalki nach Chelchy [Schew-schi] in die Nähe der Stadt Elk [E-ouk].

Die Gegend war jetzt nicht mehr so hügelig, um es aber nicht zu einfach zu machen, war eine 8 Kilometer lange Kopfsteinpflaster-Strecke eingebaut. Hier erfuhr man dann auch, daß jeder so seine Problemchen hat, mit dem Po und so… Es folgte das mittägliche Picknick, und ein Teil der Radler nutzte die Pause für ein Nickerchen. War es die Erschöpfung?

Das Hotel in Chelchy ist eines der größten in dieser Gegend. Ein landwirtschaftlicher Großbetrieb hat hier den richtigen Riecher gehabt und zieht viele Heimwehtouristen an. Wir bekamen dafür die Nähe einer Schweinemastanlage zu riechen. Am nächsten Tag stand der Wind aber wieder günstiger, und man konnte die ländliche Ruhe genießen. Das Hotel kann auch mit einem Schwimmbad, Sauna und Fitnessraum aufwarten. Aber wir haben keine Zeit, diese Einrichtungen zu nutzen.

Donnerstag 28.08.96 (37 Kilometer)#

Der erste Teil der heutigen Fahrt war kurz, 8 Kilometer bis Elk. Dort bestiegen wir nach einem Stadtbummel eine Schmalspurbahn, bestehend aus einer Lokomotive, einem offenen Waggon und einem geschlossenen Waggon. Wir setzten uns in den ersten offenen Waggon. Die einheimischen Fahrgäste bevorzugten den hinteren geschlossenen Waggon, wohl wissend, daß man vorn Dampf und Rauch besonders gut abbekommt. Das störte uns aber wenig. Etwa eine halbe Stunde später hielten wir mitten im Wald, und nach 500 m Fußmarsch erreichten wir wieder einen malerischen stillen, von Wald umgebenen, See. Baden, essen, schlafen, lesen…

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Schmalspurbahn

Die Rückfahrt ging per Rad über zum Teil holprige Wege zum Hotel zurück. Es ist Zufall, daß die Strecke nur wenige Kilometer am Geburtsort eines unserer Eltern vorbei führt. Wir nutzten die Gelegenheit, machten es wie die Heimwehtouristen und suchten die Reste eines Geburtshauses. Vom Heimweh bleiben wir verschont. Nach dem Essen versammelte sich die Reisegruppe am Lagerfeuer, und mit Zimbal-Musik klang der Abend aus.

Freitag 29.08.1997 (59 Kilometer)#

Ein Bus brachte uns bis Augustów. Von dort fuhren wir mit dem Rad nach Goniadz [Gon-iounz].

Die Landschaft verändert sich, wir erreichten eine Ebene. Die Erle ist die vorherrschende Baumart, und bald umgibt uns eine nur von Buschreihen unterbrochene Wiesenlandschaft. Die Straßenbauer mußten auf natürliche Hindernisse keine Rücksicht nehmen, und so fuhren wir kilometerweit über lange gerade Straßen. Eigentlich müßte man Radwege sagen, denn Autos begegneten uns kaum. Während 50 Kilometer weiter nördlich die Bauern das letzte Korn ernteten, war man in dieser Niederung dabei, das Heu von den Wiesen zu bergen. Wir überquerten schließlich den Fluß Biebrza [Bieb-scha], auf dem unsere Kanusfahrt stattfinden sollte. Als wir per Rad in Goniadz ankamen lagen die Kanus schon bereit. Vor der Kanufahrt sprangen wird aber erst einmal ins glasklare Wasser und kräftigten uns bei einem Picknick.

Der Fluß windet sich, als wolle er diese schöne Niederung nicht verlassen. Aber es nützt nichts, es geht unaufhaltsam nach Süden. Nach einstündiger Paddeltour waren wir überwältigt von der Stille und der Unberührtheit der Natur am Ziel und fuhren wieder zurück zu unserem Hotel.

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Die Autoren im Paddelboot.

Sonnabend 30.08.1997 (59 Kilometer)#

Den ersten Teil der Tagestour verbrachten wir im Bus. In Prostki nahmen wir die Fahrräder in Empfang. Unterwegs verweilten wir kurz an einem Denkmal, das den Grenzpunkt zwischen Polen, Preußen und…. im Jahre …. markiert. Weiter ging es dann in Richtung Pisz [Pisch]. Diesmal fanden wir für das Mittagslager einen See, der leider nicht so sauber ist wie alle anderen Seen, die wir bisher besucht haben. Die meisten verzichteten daher auf das schon traditionelle Bad. An diesem Tag wurden wir noch Zeugen ganz gegensätzlicher Anlässe, die Menschen in Polen und auch anderswo zusammentreffen lassen. Während unserer Mittagspause ertönten die Glocken der nahen Dorfkirche. Marek behauptete dort sei eine Hochzeit. Doch kurze Zeit später zog ein Trauerzug an uns vorbei. Viele Menschen, Kinder wie Erwachsene, begleiteten den Toten zur letzten Ruhestätte. Ganz anders am Abend in Pisz. Hier fanden in der nahen Kirche gleich mehrere Trauungen nacheinander statt. Eine der Hochzeitsfeiern erlebten wir hautnah in unserem Hotel. Erst am Sonntag morgen beendete die Kapelle ihr Spiel, und die letzten Gäste machten sich auf den Heimweg, als wir zu unserer letzten Etappe aufbrachen. Entsprechend unruhig war der Schlaf in dieser Nacht.

Sonntag 31.08.97 (25 Kilometer)#

Von Pisz fuhren wir bis Wierzba. Dort mußten wir auf eine Fähre warten und trafen dort andere deutsche Touristengruppen, die wie wir mit dem Rad unterwegs war. Nach dem Übersetzen ging es dann weiter nach Mikolajki, dem Ziel unserer Radtour.

Wir haben bei schönstem Sonnenschein 469 Kilometer auf dem Rad zurückgelegt, in einigen der schönsten Seen Polens gebadet, die Landschaft und auch einige Menschen kennengelernt. Als wir dann die Fahrräder endgültig abgaben, war uns bewußt, wie schnell die 11 Tage vergangen waren. Aber noch war das Programm nicht zu Ende. Mikolajki ist als Urlaubsort sehr bekannt und entsprechend viele Geschäfte, die Bernstein und anderen Souvenirs anbieten, findet man hier in dem kleinen Ort. Auch wir erhielten die Möglichkeit, Mark oder Sloty in Bernstein zu tauschen. Zur verabredeten Zeit brachte uns ein Bus zur Krutynia [Kru-tin-ia] einem Fluß, der scheinbar unberührt seine Bahn zieht. An einer Anlegestelle nahmen wir jeweils zu viert in einem Kahn Platz und wurden von den “Kapitänen” ähnlich wie im Spreewald den Fluß hinauf gestakt. Nach etwa einer Stunde haben wir bei einem Halt die Möglichkeit, in dem nur 1m tiefen glasklaren Fluß zu baden. An dieser Stelle wurde mir auch klar, was die Industrialisierung aus den Flüssen in Mitteleuropa gemacht hat. Auf der Rückfahrt folgten wir der Strömung; es herrschte eine andächtige Stille im Boot. Die anschließende Busfahrt endete vor dem Hotel in Pisz.

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Ein Blick auf den Bernstein.

Montag 01.09.97#

Nach dem Frühstück hieß es das erste Mal Abschied nehmen. Dabei überraschte der Techniker Krzysztof unsere Damen mit einem Handkuß. Wir fuhren mit dem Bus zurück nach Warschau und erlebten dort noch eine Führung, insbesondere durch das Warschauer Ghetto und die Altstadt. Nun hieß es endgültig Abschied nehmen von unserem Reiseleiter und Dolmetscher Marek, von den Reisegefährten, von Warschau und auch von Polen, denn erst in Berlin/Lichtenberg verließen wir den Zug. Zurück bleibt die Erinnerung an schöne Tage. Vielleicht kommen wir einmal wieder?!

Um 22.00 Uhr können wir in Lichtenberg bei lauter Musik in einem Mc.- Donald ein paar Pommes essen, erleben den Streit zwischen dem Bahnhofspersonal und einem aufgebrachten “Penner” und sehen uns eine Reportage zum Tod der Prinzessin Diana auf einer großen Leinwand in der Bahnhofshalle an. Der Lärm ist nach 11 Tagen Natur pur fast unerträglich. Endlich im Zug nach Jüterbog, berichtet der Schaffner während der Fahrkartenkontrolle, daß wir nur wenige Minuten Verspätung haben werden, denn wieder einmal habe sich eine junge Frau vor einen Zug geworfen. Der Taxifahrer aber hat gewartet und bringt uns nach »Altes-Lager« zurück, und auf die Frage, ob es in den letzten Tagen in der Gegend etwas Besonderes gegeben hat, zuckt er die Schultern und sagt: “Es ist wie immer, ab 20:00 Uhr werden die Bürgersteige hochgeklappt.”